DIE ITALIENISCHE ORGEL VON PIETRO ORSI

Die Italienische Orgel

Seit Mai 2019 - und seit August gestimmt und spielbereit - steht in der Vicelinkirche auf der Empore oberhalb des Altares eine Kammerorgel des Bologneser Orgelbauers Pietro Orsi, die dieser im Jahr 1891 baute.

Es ist eines der letzten Instrumente, das er fertigte. Orsi baute zahlreiche Orgeln für kleinere Kirchen in Bologna und Umgebung und betreute die großen bedeutenden Orgeln der Stadt in der monumentalen Hauptpfarrkirche San Petronio (Lorenzo di Giacomo da Prato, 1470–75 und Baldassare Malamini, 1596), in San Michele in Bosco (Giovanni Battista Facchetti, 1524–26), San Martino (Giovanni Cipri, 1556–57) und weitere.

Ganz in der Tradition dieser klassischen italienischen Orgeln stehen auch Orsis eigene Instrumente und damit auch die Orgel, die nun in der Vicelinkirche klingt und die neben der Orgel im Lübecker Dom die einzige italienische Orgel in Schleswig-Holstein ist. Zwar gibt es einige bautechnische Details, wie die Verschlüsse der Gehäusetüren, die auf eine Entstehung im 19. Jahrhundert hindeuten, aber von der prinzipiellen Anlage unterscheidet sich unser Instrument in keiner Weise von einer älteren klassisch-italienischen Orgel. Sogar eine kurze Oktave und eine Stimmung aus dem 16. Jahrhundert weist die Orgel auf und ist damit hervorragend für die Wiedergabe der Musik der großen Epoche der italienischen Orgelmusik, des Seicento, geeignet.

Sie ist aber auch eine Kammerorgel und besonders für den Einsatz in geistlicher Kammermusik gedacht. Im Unterschied zu einer „ausgewachsenen Orgel“ ist die unterste Oktave des Hauptregisters Prinzipal, italienisch Principale nicht voll ausgebaut – dann nämlich würde diese Orgel nicht in ein relativ kleines Gehäuse passen –, sondern diese Oktave (genau genommen C–G) ist als Gedackt gebaut und hat damit die halbe Höhe. Damit hat die Basslage aber auch nicht den sonoren Klang des Prinzipals. Das kann man in solistischer Prinzipalregistrierung auch hören. Außerdem ist die Oktave 4′ in der unteren Oktave als 2′ gebaut, die Oktave 2′ wiederum als 1′. All das spart Platz und führt dazu, dass die Orgel eine sehr kleine Standfläche hat, schränkt allerdings auch die Verwendung von Oktave 4′ und Oktave 2′ ein.

Die Disposition der Orgel ist:

  • Principale basso

  • Principale soprano

  • Ottava

  • Decimaquinta

  • Decimanona

  • Terza mano
    (Mechanische Superoktavkoppel, so dass die höheren Fußtonlagen gespart werden.)

  • Voce umana (Schwebung, zweiter zum Hauptprinzipal bewusst verstimmter Prinzipal 8′, allerdings nur im Diskant)

Tonumfang CDEFGABc–f′′′, angehängtes Pedal CDEFGABc–gis

Damit weist die Orgel das absolute Minimum einer italienischen Disposition auf, mit anderen Worten diesen Kernbestand hat jede italienische Orgel.

Unsere Orsi-Orgel ist damit wiederum fast identisch mit den alten Orgeln aus dem 16. Jahrhundert, die ja die Ergänzungen späterer Jahrhunderte noch nicht hatten. Unterstrichen wird das durch das sehr seltene, aber sehr gut funktionierende Stimmungssystem von Bermuda aus dem Jahr 1555, das bei dem Abbau der Orgel in Bologna vorfand und was für eine Orgel von 1891 etwas merkwürdig anmutet. Es ist allerdings von Orsi bekannt, dass er wohl Stimmungssysteme mit einem 1/6-Komma zum Ausgleich des pythagoräischen Kommas verwendete – also auch 1891 stimmte man in Italien durchaus nicht gleichschwebend – und seine Wahl fiel auf eine Temperierung sehr alter, dabei aber temperiert ist, wobei die Frage ist, ob er bewusst Bermuda folgte oder intuitiv eine vergleichbare Stimmung wählte.